Über das Alleinsein.

„Es ist übrigens nach Lage der Dinge nicht auszuschließen, dass Gisela mich verlässt.“, sagt der Klient. Ein sehr smarter junger Ingenieur namens Dirk, mit Audi-Cabriolet und einer sehr seltsam gemusterten Hose. „Und ich muss sagen, dass mich das sehr überrascht.“
In der Tat: Er ist ursprünglich zu mir gekommen wegen eines Problems mit seinem Firmenpartner, der seinen hochfliegenden Plänen nicht folgen wollte. Nun läuft ihm die Frau davon.

„Und warum?“
„Ich verstehe es nicht. Wir sind beide Akademiker; wir haben beide exquisite Jobs; und wir verfügen beide über erstklassige soziale Kontakte!“
„Wie sieht´s mit Liebe aus?“
Die Nase zieht sich hoch. „Wir wollen doch bitte sachlich bleiben!“

Gisela, eine hochintelligente und brennend ehrgeizige Anfangsdreißigerin, hat in der Presseabteilung eines Weltunternehmens so sehr reüssiert, dass sie jetzt beabsichtigt, mit einem Zeitungsredakteur zusammenzuziehen. Der Klient scheint dies in erster Linie als Kränkung seines sozialen Status zu erleben. „Erst letzten Samstag war noch der Regierungssprecher auf unserer Party, und jetzt das!“ Sozial selbstoptimiert nennt man das vermutlich.

„Und wie geht es Ihnen damit, so als Mann und Partner?“
Als Antwort ein schwurbeliger Monolog, der sachlich begründet, was alles für das Fortbestehen der Beziehung spricht: arbeitstechnische, gesellschaftliche und finanzielle Gesichtspunkte. Irgendwie scheint Gisela anderer Meinung zu sein, denn sie ist nicht mehr umzustimmen.

Unter Akademikers regelt man sowas ja kultiviert: Bis die Eigentumswohnung des neuen Partners bezugsfertig ist, dauert es noch acht Monate, die man selbstverständlich noch „als Freunde“ zusammenlebt. Versuche, dieses Konstrukt auf seine Sinnhaftigkeit zu hinterfragen, werden von Dirk eisern blockiert. Gisela ist nett zu ihm, wenn sie da ist, und sie begrüßt ihn mit herzlichen Wangenküssen, wenn sie vom Wochenende und später dann ganzen Wochen mit dem – übrigens ebenfalls noch verheirateten – Partner zurückkehrt. Die Firmenpartnerschaft leidet immer mehr, denn Dirk macht Fehler, versäumt Fristen und erledigt wichtige Dinge nicht. Er hat für alles seine Begründung: intellektuell brillant, sprachlich geschliffen, inhaltlich schlüssig, und ansonsten für den Müll.

„Wir waren gestern bei Joe Cocker! Ausgezeichneter Abend! Danach noch Essen beim Koreaner, – superb!“ Und danach, wie er konzentriert berichtet, legten er und Gisela sich ins Ehebett und kuschelten. Sei ihnen ja gegönnt.

Weitere Versuche, diese seltsame Symbiose analytisch anzugehen treten eine Lawine intellektueller Erklärungen los, warum es so und nur so richtig ist. – Abwehr pur. Man nennt es „Rationalisierung“: Ein eigener Gefühlsimpuls wird nicht zugelassen, stattdessen wird der Verdrängungsakt mit rein verstandesmäßigen Erklärungen überlagert und das ursprüngliche Gefühl scheint niemals aufgetreten zu sein.

„Sie wollen es nicht wahrhaben.“, sage ich.
„Was?“
„Dass Gisela Sie bald verlassen wird. Sie tun so, als würde dieser Fall niemals eintreten, dann brauchen Sie sich nicht damit zu beschäftigen.“ Immer deutlicher wird, dass Dirks Panik vor dem Unausweichlichen ins Unermessliche gestiegen ist. Dabei geht es ihm längst nicht mehr um Gisela, deren Ausstieg er „intellektuell voll verarbeitet“ hat, während er hilflos dagegen an argumentiert. Er leugnet die Realität, verdrängt seine eigenen Ängste, die ihn immer heftiger steuern und nur ein einziges Thema haben: verlassen werden.

Man müsse so etwas „positiv gestalten“ erklärt Dirk mir und meint damit, dass er mehrere Kontaktanzeigen geschaltet hat in Medien, auch im Internet ist er gut unterwegs. Er trifft Frauen reihenweise und geht nach einem durchdachten Ausschlussverfahren vor: Gesellschaftlicher Status – Bildung – Beruf – Attraktivität – Qualität des Sex. Wenn sowas nicht zu einer glücklichen Partnerschaft führt.

Doch, tut es. Nanni ist seinem Charme und seinem Drängen erlegen, und Dirk nutzt diesen „strategischen Erfolg“, um mir mitzuteilen, dass er meine Hilfe nicht länger benötige. Die dreißigjährige angestellte Steuerberaterin aus Olpe ist hin und weg von ihm, und tatsächlich ist Hochzeit: Exakt zwei Tage nach Dirk/Giselas Scheidung und exakt sieben Tage, bevor Gisela aus der gemeinsamen Wohnung auszieht. Nanni hat sich drei Tage Urlaub genommen, so ehelicht sie ihren Dirk in Olpe, bevor der zurückdüst in die eheliche – bzw. künftige eheliche – Wohnung, während Nanni dort noch ihre letzten Arbeitstage ableisten muss. Als sie am nächsten Abend mit ihrem frischgebackenen Ehemann telefoniert, hört sie, wie im Hintergrund eine Wohnungstür aufgeht und eine Frauenstimme sagt: „Hallo, mein Schatz!“ – Es gibt nichts, was es nicht gibt. Nanni legt heulend auf, Ehekrise Nummer eins. Drei Tage später zieht Gisela aus, passenderweise endet auch Nannis Arbeitsverhältnis und so zieht sie zu ihrem Mann und nimmt Giselas Platz im Ehebett ein. Wenigstens die Wäsche ist frisch bezogen.

Die Ehe hielt anderthalb Jahre. Nur Monate später kollabierte Dirks Firma unter einem riesigen Schuldenberg. Dirk wurde letztmalig in einem hellen Anzug am Hamburger Flughafen gesehen. Alleine.

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